Anfang Juni 2022 haben wir über die verzögerten Aktivitäten der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 in nationales Recht berichtet. Jetzt hat die Bundesregierung den überarbeiteten Gesetzentwurf verabschiedet und nach der Sommerpause Anfang September wird das Gesetz im Deutschen Bundestag beraten. Das neue Gesetz soll bis zum Jahresende 2022 in Kraft treten.
Mehr zum Gesetzentwurf hier.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Gesetzentwurf nicht nur bei der CDU/CSU, sondern auch bei der Anwaltschaft auf kritischen Widerstand stößt.
Anonyme Berichterstattung möglich und geschützt?
Einer der Hauptkritikpunkte an dem früheren Entwurf war die Grauzone bei anonymen Meldungen. Der neue Entwurf sieht hier nur minimale Änderungen vor: Es gibt weiterhin keine Verpflichtung für Unternehmen, Kanäle für anonyme Meldungen einzurichten. Anonyme Meldungen "sollen" bearbeitet werden, allerdings nur insoweit, als die vorrangige Bearbeitung von nicht-anonymen Meldungen dadurch nicht gefährdet wird (vgl. § 16 und § 27 HinSchG-E). In verschiedenen Whistleblowing-Berichten wird betont, wie wichtig es ist, Hinweisgebern anonyme Meldewege zur Verfügung zu stellen. Es wird dringend empfohlen, dass Unternehmen dennoch sichere interne Meldewege einrichten, um anonyme Meldungen über digitale Meldesysteme und verschlüsselte Kommunikationswege zu ermöglichen.
Ist der Anwendungsbereich des HinSchG zu eng?
Eine weitere große Sorge ist, dass das Gesetz in seinem Anwendungsbereich zu eng gefasst ist. Mit dem neuen Entwurf wurde der Anwendungsbereich des früheren Entwurfs nicht geändert: Der Gesetzentwurf konzentriert sich ausschließlich auf die Verhütung von Straftaten und befasst sich nicht mit der Aufdeckung von Rechtsmissbrauch oder Rechtsmängeln. Das mutmaßliche Fehlverhalten muss gegen Normen, gesetzliche Vorschriften und Bestimmungen verstoßen. Diejenigen, die den aktuellen Gesetzentwurf kritisieren, argumentieren, dass es im öffentlichen Interesse wäre, alle Missstände aufzudecken, auch solche, die keine Straftaten darstellen. Es gab zahlreiche Kommentare von NGOs zu diesem Thema.
Sind "Konzerne" privilegiert?
Der überarbeitete neue Gesetzesentwurf erlaubt es Konzernen, für jede einzelne Tochtergesellschaft auf lokaler Ebene gesonderte Regelungen für die Meldung von Missständen einzurichten. Die Unternehmen müssen jedoch sicherstellen, dass Meldewege in der vorherrschenden Sprache der Tochtergesellschaft bestehen. Dieser Punkt muss weiter geprüft werden, da einige argumentieren, dass diese vereinfachte Option für multinationale Unternehmen gegen das EU-Recht verstoßen könnte.
Zusammengefasst: Wir empfehlen dringend, die bestehenden Berichtswege zu überprüfen und ggf. zu korrigieren bzw. zu ergänzen, auch im Hinblick auf die möglicherweise zwingenden Mitbestimmungsrechte bestehender Betriebsräte nach § 87 I Nr. 1 und 6 BetrVG.
Der Zeit- und Kostenaufwand sollte von den Unternehmen nicht unterschätzt werden: Die Maßnahmen beginnen mit der Definition von Meldekategorien, der Beschreibung von Eskalationsprozessen, der Durchführung von Tests über "dry-runs" bis hin zur endgültigen Einführung der Hinweisgebersysteme. Interne Kommunikation und der erfolgreiche Vertrieb von Hinweisgebersystemen erfordern professionelle Expertise und Erfahrung.